Sehr
geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kunst!
Als Einführung zum Katalog von Udo Sieberer möchte ich
Ihnen ein paar Gedanken mit auf den Weg geben zum Augenblick des
Betrachtens -
der Freiheit von der Zeit -
dem Anschauen als Verweilen.
In der Zeit und selbst zeitlich zu sein, gehört zum Dasein
des Menschen wesentlich und unaufhebbar.
Um so tiefer ist in der menschlichen Natur die Sehnsucht nach Freiheit
von der Zeit verwurzelt.
Wenn wir aber, solange wir in dieser Welt
leben, an Zeit gebunden sind und bleiben, müssen wir uns fragen,
ob Freiheit von der Zeit nur ein leerer Raum ist. Wohl beschreiben
Mystiker ein Sichversenken in die raum- und zeitlose Leere des Nichts.
Und die Idealisten verweisen auf Reflexion. Aber wenn Reflexion
auch Freiheit gewährt - Freiheit von der Zeit gewährt
sie sicherlich nicht.
Indessen kennen wir alle ein elementares Verhalten, das die Realität
einer Freiheit von der Zeit zu bezeugen scheint: das Verweilen.
Verweilend gehen wir gleichsam nicht mit der Zeit mit. Wir befreien
uns von ihr, indem wir aus ihrem Fluß heraustreten.
Zum Verweilen genügt nicht, einfach stehenzubleiben. Hinzukommen
muß ein Innehalten, auf sich zukommen lassen - ein Aufgehen,
das im räumlich gedachten Nicht-weitergehen keineswegs mitgedacht
ist.
Das Aufgehen in etwas ist als Verweilendes ein Eingehen auf etwas,
und eingehen können wir auf etwas nur, wenn wir es nicht an
uns reißen, sondern uns ihm in aller Ruhe hingeben.
Nicht-mitgehen will der Verweilende mit der Zeit, will heraustreten
aus ihr, innehalten, sich mit Neugierde wartend hingeben, im Augenblick
des Betrachtens.
Meine Damen und Herren,
in dem Maler Udo Sieberer sehen wir einen
Künstler, der mit seinen Bildern den Betrachter zum Verweilen
veranlaßt, ihn zum zweiten Blick, zum zweiten Hinsehen geradezu
zwingt.
Hat Udo Sieberer früher viel gezeichnet und vorwiegend Radierungen
angefertigt, so ist in letzter Zeit Öl die Technik, mit der
er arbeitet.
Auf zahlreichen Studienreisen ins Ausland inspirierten den Künstler
die verschiedensten Landschaftsstrukturen und Landschaftsimpressionen,
die er meisterlich in seinen Gemälden umsetzt.
So entstehen Bilder, die faszinieren!
Jetzt heißt es innehalten und sie in ihrer ganzen Faszination
auf sich wirken lassen:
die Präzision der Maltechnik,
die exakt aufeinander abgestimmten Farben,
die Gegenstände des alltäglichen
Lebens,
die in bewußter Unproportionalität
zueinander geordnet sind.
Manches daran erinnert uns an ein Stilleben.
Und doch ist es keines!
Wir beginnen, die Bilder einzuordnen, was uns nicht gelingen wird.
Sie entziehen sich uns, und im wiederannähern wird uns der
Einstieg in die Malerei gelingen: sei es durch die Technik, die
Farbe, die Gegenstände oder einfach durch die Mystik der Gesamtkonzeption.
Ruhe und Ordnung scheinen sie auszudrücken - fast meditativ
- Ordnung im Sinne von Anordnung, zueinander geordnet, ja - aber
nicht im Sinne von Ruhe.
Da ist von der "Friedlichkeit" des Stillebens nichts zu spüren.
Dem aufmerksamen Betrachter erschließt sich Bewegung.
Seien es die Wolkenfelder auf- oder abziehender Gewitter, die karge
Vegetation, die sich aus einem verrotteten Gemäuer quält,
ein Schachfeld, das auseinander zu driften droht, sich in die Natur
aufzulösen scheint, die Schachfigur, die zum Sprung ansetzt.
Alles scheint im Augenblick festgehalten, fixiert und doch erkennen
wir im aufmerksamen Betrachten, was gleich geschehen kann, geschehen
wird - Zukünftiges.
Diese Bilder bewegen auch uns, Vergessenes wiederzuentdecken, die
Auseinandersetzung damit, Fragen zu stellen, weiterzugehen um zurückzukehren
und alles noch einmal neu zu sehen.
Der Künstler zwingt uns durch sie Malerei zwischen Traum und
Realität in die eigene Freiheit der Phantasie, in die uns ganz
eigene Freiheit des Betrachtens.
Das ist die eigentliche Faszination der Bilder Udo Sieberers.
Er läßt uns unsere eigene Freiheit des Betrachtens, der
eigenen Interpretation; ist es uns erst einmal gelungen innezuhalten,
zu verweilen, uns einzulassen.
Und im Erkennen erschließt sich uns eine weitere Dimension:
die des Details. Bis dahin nie wahrgenommene Kleinigkeiten; in ihrer
Präzision faszinierend und für das Gesamtverständnis
des Bildes von doch so großer Bedeutung. Die sich immer wiederholenden
Gegenstände, die Steine, Würfel, Pyramiden, jedes für
sich eine eigene Symbolik und doch im Zusammenhang immer wieder
neu.
Hier komt Kunst von Können, von Präzision, von jemandem,
der sein Handwerk vortrefflich versteht, und von einem Künstler
mit einer überaus reichen Phantasie, die gleichzeitig die ureigene
Phantasie des Betrachters freisetzt.
Meine Damen und Herren,
was wünsche ich Ihnen bei der Betrachtung
dieser Bilder?
Ich wünsche Ihnen einen Augenblick des
Verweilens, einen Moment der Freiheit von der Zeit und im Betrachten
die Erkenntnis, daß es sich hier um einen Künstler handelt,
dem unser ganzes Augenmerk gelten sollte.
Lassen Sie sich auf die Bilder von Udo Sieberer ein, es lohnt sich!
Lilli E. Kunze, Kunstvermittlung Düsseldorf
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